Kreatives Denken ist Übungssache. Als Kind haben wir quasi jeden Tag trainiert. Wir sind inspiriert und offen durchs Leben gehüpft. Die Vorstellungskraft war enorm und die Ideen sprudelten nur so aus uns heraus. Bis eines Tages der Ernst des Lebens um die Ecke kam.

Sein Credo haben viele von uns tief verinnerlicht – ganz besonders im beruflichen Umfeld: rational denken, die Vernunft walten lassen und Lösungen immer auf Basis von Zahlen, Daten und Fakten suchen.

Gleichzeitig steht gefühlt in jeder Job-Description „Kreativität“ im Anforderungsprofil. Wie schaffen wir es, in einer Arbeitswelt, die auf Vernunft getrimmt ist, mit Leichtigkeit und Freude inspirierter zu arbeiten? Edith Frauscher entwickelt Marken, ist Kreativ-Trainerin und hat ein paar Vorschläge, wie uns das gelingen kann:

Hindert uns der „Ernst des Lebens“ kreativ zu denken, Edith?

Wenn wir uns zu stark von ihm leiten lassen, ja. Mit dem Ernst des Lebens verbinde ich rationales, realistisches Denken, bei dem Bauchgefühle, Neugier auf Neues und Risikobereitschaft wenig bis gar keinen Platz finden. Wenn wir uns im Job zu sehr daran klammern, schränkt das unser Out-of-the-box-Denken massiv ein. Denn so wichtig analytisches Denken ist – allein damit erarbeiten wir kaum frische Lösungen.

Wer immer nach Schema F arbeitet, sprüht nicht plötzlich vor Inspiration, wenn es im Büro heißt: „Wir brauchen neue Ideen!“ Für kreatives Denken braucht es Mut und regelmäßige Musenküsse. Die Kunst liegt darin, nachhaltig eine gute Balance zwischen dem Ernst und der Muse zu finden.

Wie trainiert man denn diese Art des Denkens, wenn man per se keinen Kreativ-Job hat?

Es gibt viele Möglichkeiten, um aktiv das kreative Denken anzuregen. Ein Weg, der vielen längst bewusst ist, aber leider schwierig umsetzbar: Wir brauchen analoge Freiräume. Das andauernde Starren in Bildschirme lässt unsere Gedanken in einer Flut an Reizen versinken. Ununterbrochen prasseln neue Eindrücke auf uns ein – nur schnell die Whattsapp beantworten, nur ratzfatz eine Mail verschicken, nur kurz Insta checken … Wie soll in diesem Strudel an Bildern, Informationen und Herzchen ein inspirierter Gedanke auftauchen, geschweige denn wachsen?

So manche bildschirm-freie Tätigkeit stimuliert verschiedene Bereiche des Gehirns. Zum Beispiel das Schreiben mit der Hand oder der handy-freie Spaziergang in der Mittagspause. Beides kann zu einer tieferen mentalen Verarbeitung und zu neuen neuronalen Vernetzungen führen. Anders gesagt: In digitalen Pausen haben wir große Chancen, ein bisschen mit der Muse zu flirten.

Und wenn wir dann öfter offline sind, können wir gleich zur nächsten „Trainingsmethode“ greifen, mit der wir die Kreativ-Maschine anschmeißen: Aktiv mehr Abwechslung in den Alltag einbauen. Routinen sind lebenswichtig, keine Frage. Aber wenn die Arbeit und der private Alltag zu stark an „Und täglich grüßt das Murmeltier“ erinnern, langweilt sich unsere Inspiration zu Tode. Auch hier ist das Zauberwort wieder: Balance. Es geht darum, durch ungewohnte Tätigkeiten neue Impulse zu bekommen. Und das regelmäßig. Man kann es daher auch so sehen, dass man seine Routine ergänzt – um einen kreativen Faktor.

Mein Zugang ist: Fang‘ dort an, wo du ohne viel Aufwand frischen Wind hereinlassen kannst. Das darf banal sein, wie etwa einmal die Woche eine andere Fahrrad-Route ins Büro zu fahren. Oder: Beim nächsten Einkauf nur Lebensmittel aussuchen, die du sonst niemals kaufst.

Das hat gleich noch die positive Folge, dass damit auch das Kochen einen kreativen Schub bekommt.

Im Job kann ein neuer Impuls zu Beginn einer Aufgabe helfen. Ich wende dafür das sogenannte Freewriting gerne an. Dafür braucht man zehn Minuten Zeit, einen ungestörten Platz, Zettel und Stift. Stell‘ den Timer und lege die Uhr außer Sichtweite. Und dann: einfach losschreiben. Wichtig ist, schnell und durchgehend zu schreiben. Die Hand bleibt immer in Bewegung. Diese Methode funktioniert als Startschuss für einen Text genauso gut wie bei der Ideen-Findung für ein Projekt, bei der unternehmerischen Strategie-Arbeit – und bei allem anderen.

Apropos langfristig: Manchmal muss es ja mit der Inspiration richtig schnell gehen. Was kann ich tun, wenn ich unter Zeitdruck gute Ideen liefern muss?

Zeitdruck ist manchmal sogar förderlich. Wenn man – wie ich – dazu neigt, mit einem „Köpfler“ in ein Thema zu springen und bei der Ideensuche weit abzutauchen, ist ein bisschen Zeitdruck ganz hilfreich. Beim Design Thinking, einer agilen Innovationsmethode, mit der ich gerne arbeite, spielt die Stoppuhr sogar eine zentrale Rolle. In kurzen Intervallen leite ich die Beteiligten von Übung zu Übung. Das kann zwischendurch auch unangenehm sein und zu Widerstand führen, weil jemand einen supertollen Gedanken hat, den er oder sie sofort weiterspinnen möchte. Dann gilt: Notieren, beiseitelegen, weitermachen. So rigoros an diesem „Timeboxing“ fest zuhalten bringt Vorteile:

Wir arbeiten fokussierter und effizienter, weil wir uns in aller Kürze aufs Wesentliche konzentrieren. Gleichzeitig denken wir unzensierter, weil keine Zeit für Bedenken bleibt. Wir kommen in wenigen Minuten nicht dazu, reflexartig hundert Gründe aufzuzählen, warum eine Idee nicht umsetzbar ist. Eine realistische Bewertung der Machbarkeit ist danach natürlich wichtig. In dieser Kreativ-Phase hat sie aber nichts verloren. Ausgesiebt wird später. Sonst killt man Ideen, bevor sie entstehen.

Funktioniert das allein oder brauche ich dafür mein Team?

Für mache Aufgaben kann man sich alleine mit der Stoppuhr vorantreiben, wie beim Freewriting. Oft bringt aber der Austausch mit anderen einen zündenden Turbo in die Ideen-Findung. Damit sind wir beim dritten Tipp: Zusammenarbeit. Im Bereich der Ideen-Entwicklung auch Co-Kreation genannt. Eigentlich logisch, oder? Ich habe nun mal nur meine Perspektive, meine Erfahrungen und meinen gedanklichen Rahmen. Sobald ich jemanden dazuhole, erweitern wir die Blickwinkel und damit das innovative Potenzial. Wenn wir es schaffen, das kontra-produktive „Silo-Denken“ öfter hinter uns zu lassen, inspirieren wir uns gegenseitig. Meine Empfehlung ist daher: Raus aus dem stillen Kämmerlein und öfter gemeinsam an Aufgaben herangehen. Einfach beim nächsten Projekt zu Beginn ein paar denkfreudige, offene Kolleg:innen zum „Ideen-Pingpong“ einladen.

Ich weiß, dass das alles unspektakulär klingt; aber es wirkt. Wenn diese offene Haltung dann in Fleisch und Blut übergegangen ist, kann das Level natürlich erhöht werden. Es lohnt sich, so die Grenzen der eigenen Komfortzone Stück für Stück zu verschieben. Die Kreativität dankt es uns langfristig. Also: Jeden Tag ein bisschen die Vorstellungskraft trainieren. Immer wieder aus der Box kraxlen und so Schritt für Schritt die Gedanken öffnen – bis man es von ganz alleine macht.

Über Edith Frauscher
Als Kreativ-Trainerin unterstützt Edith Teams dabei, ihr innovatives Potenzial zu heben. Schritt für Schritt verwandelt sie dabei die „Das haben wir schon immer so gemacht“-Mentalität in offenes, neugieriges Denken. Mehr darüber erfährst du auf der Website ihrer Agentur HUMMELHIRN und ihrem LinkedIn-Profil.

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